Lust auf mehr?!
Youthpaper Nr. 43, November 1999

Ein ganz normaler Tag - oder: Liedermacher Ostwind in Berlin

von Björn Raasch

Liebe Youthpaper!

Herzlichen Glückwunsch zu Deinem siebten Geburtstag. Heimlich still und leise bist Du über die Jahre zu einem Bestandteil in der Gemeinde geworden.
So manche Veränderung hast Du erlebt. Ob sich nun Dein Outfit verändert hat oder Deine Redaktion. Aber trotz allem zeigst Du Beständigkeit und bist stets wiederzuerkennen. Besondere Grüße an den Dinosaurier im Team, den Mann der ersten Stunde.
Ich weiß von keinem Jugendgemeindeblatt, das so lange existiert wie Du. Mach so weiter.
Ich wünsche Dir alles Gute für die nächsten Jahre und daß Du so bleibst wie Du immer warst . . . stets mehr wert als nur eine Mark.
Congratulations

      Björn Raasch

Ich habe überlegt: Was schenkt man einer Zeitung zum Geburtstag?

Da sind mir die Klagen der verschiedensten Redaktionsmitglieder wieder eingefallen, daß Artikel zu spät oder gar nicht kommen und die Sorge, wie die Youthpaper gefüllt wird. Vielleicht wäre also ein Artikel das Richtige. Nur worüber? Ein eigenes Erlebnis/ Zeugnis?

Klar doch! Schließlich erlebt man als jahrelanger Christ doch stets Außergewöhnliches mit Gott, was man unbedingt weitergeben muß, weil es für jeden interessant ist, oder?!

Tja! Vielleicht sind ja doch die Tage häufiger, die man lieber schnell wieder vergißt..

Gerade so ein Tag wie letzten Donnerstag:

Ein Tag voller Herumhetzen, wo ich ´zig Dinge eigentlich schon gestern fertig haben sollte und das, was man gerade versucht, wieder nicht klappt. Nichts hebt die Stimmung mehr, als am Arsch der Welt anzukommen um zu erfahren, dass man hier völlig falsch wäre. Im Laufe des Tages hatte ich u.a. einen Sessel und eine Dunstabzugshaube durch halb Berlin geschleppt bzw. mit der BVG transportiert (für jeden Masochisten sehr empfehlenswert).

Die Krönung ist, wenn man total durchgeschwitzt dann in einen kräftigen Regenguss kommt. Hätte die Welt einen Hals, dann würde ich ihn in solchen Momenten gerne in die Finger bekommen! Und dann ist da gerade eine Freundin aus Wessiland in der Stadt, die morgen wieder wegfährt. Also gehe ich, obwohl hundemüde und hungrig (Mittagessen??) und äußerst schlecht drauf, mit zum Konzert der Liedermacher Ostwind ins Gemeindezentrum Alt-Reinickendorf.

Liedermacher Ostwind

Der Saal ist gut gefüllt und man sieht etliche bekannte Gesichter, vielleicht wird es ja doch ganz entspannend. Wenn nur endlich dieser Anruf der Spedition käme, wann die morgen liefern. Ich kann vorher das Handy doch nicht abschalten, aber wenn es im Konzert piept, versinke ich im Erdboden. Also Platz ganz außen nehmen und stets den Finger auf dem Knopf.

Wolfgang Tost macht den Anfang und beim zweiten Lied hat er den Großteil der Besucher im Griff. Wir singen laut beim Refrain mit, und wer nicht verkrampft ein Handy festhält, klatscht auch dazu. Die Anspannung fällt etwas von mir ab, denn die Anlage gibt kräftig was her und außerdem schreit da hinten noch ein Kind. (Ich bin bestimmt der Einzige im Saal, den dies erleichtert). Langsam beginne ich die Texte zu registrieren. Die Vertonung der Jahreslosung finde ich bei Wolfgang Tost am besten und wieder singen alle mit. Als zweiter kommt Lutz Scheufler mit großer Klappe und großer Resonanz. Er schafft es, die Leute von den Sitzen zu holen, indem er uns auffordert im Stehen zu singen (irgendwie denke ich an Herrn Nothdurft).

Zwischen den einzelnen Liedermachern redet Theo Lehmann: Kurz, prägnant und herrlich sächsisch. Er stellt das Geschenk der Wende und der Wiedervereinigung heraus, erinnert daran, daß keine Diktatur ewig gedauert hat und beschreibt die Hoffnung, die ihn als Christen seit vielen Jahren trägt und ihn immer weiter erfüllt, wenn auch nur in kleinen kaum merkbaren Schritten. Spätestens als er vom Christival 1988 in Nürnberg erzählt, hat es bei mir gefunkt. Die Erinnerung an diese Zeit und was ich seitdem mit Gott alles erfahren habe, bringen mich dazu den Tag abzuhaken, meine Entschuldigung gen Himmel zu schicken und den Rest des Abends richtig zu genießen. Als dritter kommt Jörg Swoboda und beweist erstmal, daß nicht alle Christen in Sachsen einen Vollbart tragen müssen. Seine Lieder haben für mich die größte Tiefe. Sie sind nicht ganz so mitreißend im Stil wie bei seinen Freunden, aber ich finde sie am bewegensten.

Sind mir bei Lutz Scheufler und seinen “Gänseblümchenvariationen” noch die Tränen vor Lachen gekommen, so treten sie mir bei dem Lied “Vater, laß mich leben” vor Betroffenheit in die Augen. Jörg Swoboda betont seine Position gegen Abtreibung auf beeindruckende Weise und fordert uns Christen auf Stellung zu nehmen. Auch das besungenes Bild vom Vogel am Himmel, dessen Schatten auf der Erde wie ein Kreuz aussieht, bleibt mir im Gedächtnis.

Zum Ende bringen die fünf Mannen aus Sachsen ihr dringendstes Anliegen gemeinsam zu Gehör: Bei “Gott will alle” und “Friede auf Erden” steht der ganze Saal und singt wiederum lautstark mit. Als Theo Lehmann uns dann mit dem Segen Gottes nach Hause schickt fühle ich, wie mein verkorkster Tag von mir gewichen ist und ich bei Jesus angekommen bin.

Gott sei Dank habe ich mich nicht frustriert vor den Fernseher gehockt, sondern habe mich auf den Weg gemacht, um bei einer christlichen Veranstaltung auf andere Christen zu treffen.

Wie heißt es doch gleich: “Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen” und “Ermuntert einander mit Psalmen und geistlichen Liedern”.

Oder frei nach Loriot: “Gemeindeveranstaltungen haben auch ihr Gutes!”