Lust auf mehr?!
Youthpaper Nr. 27, Februar 1997

Techno - Die neue Rebellion?

von Carsten/YPR

Bild: Techno-Party

Neulich las ich einen Artikel in der Berliner Zeitung über die Technoszene und war doch ziemlich überrascht. Jeder, der mich ein wenig näher kennt, weiß, daß ich diese Musik überhaupt nicht ausstehen kann, aber darum soll es auch gar nicht gehen. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, und wenn halt jemand auf BummBumm steht, kann er das gerne tun. Der Artikel beleuchtete aber den Hintergrund dieser Rave-Bewegung und das Ergebnis war es mir mehr als wert, darüber zu berichten.

Seitdem es Menschen gibt, gibt es auch immer solche, die anders sein wollen als alle. Rebellen, die Widerstand leisten gegen das konservative, eingefahrene, altbewährte System der Masse. Ich denke, das ist auch gut so, und, solange es sich in einem gewissen Rahmen bewegt, sogar notwendig. Denn niemand würde auf die Idee kommen, daß er etwas falsch macht, wenn ihn keiner darauf hinweisen würde. Eine kritische Betrachtung demgegenüber, was "schon immer so war" ist sicherlich wichtig. Zwar ist nicht alles "alte" schlecht, aber auch nicht alles ist gut. Und manche Dinge verändert auch die Zeit, so daß Umdenken notwendig wird.

Während im Mittelalter sich die Rebellen noch im Wald versteckten und Reiche überfielen, um das Geld den Armen zu geben, sind in unserer Zeit die Systemkritiker meistens darauf aus, aufzufallen, um gesehen zu werden. Durch Frisur, Kleidung, Graffiti usw. oder auch durch eine neue, schrille Art Musik.

In den 70er war es der Rock, der auffiel. Gruppen sammelten sich auf riesigen Festivals, feierten zusammen ihre Botschaften. Klar, nicht alles war in Ordnung, z.B. spielten Drogen eine wesentliche Rolle, und es gab auch genug nicht friedliche Auseinandersetzungen und Krawalle. Dennoch gab es halt so etwas wie eine Grundidee, eine Sache, die es wert war, um dafür auf die Straße zu gehen, Frieden (in Vietnam), Liebe, Einheit. Und sicherlich hat sich durch diese Bewegung einiges in der Gesellschaft verändert, das festgefahren und überholt war.

Dann wurde es still. Viele einzelne Richtungen bildeten sich: HipHop, Grunge etc. In Amerika ist die HipHop-Anhängerschaft inzwischen ziemlich groß geworden, nur leider verfolgen nicht mehr alle das ursprüngliche Ziel der Musik, den Grundgedanken des HipHop, eine gewaltfreie Lösung von Konflikten in den schwarzen Ghettos der Großstädte. Hauptsächlich aus Kommerzgründen bildeten sich andere Richtungen, wie z.B. der Gangsta-HipHop, der nun völlig am eigentlichen Ziel dieser Musik vorbeischießt.

In Deutschland gibt es, was Großereignisse angeht, hauptsächlich eine neue, immer größer werdende Gruppierung: die Raver. Der Mayday und die Love Parade sind die größten Ableger dieser Musikrichtung, beide finden in Berlin statt. Der Grundgedanke sollte schon aus einem der Titel erkenntlich sein: Love Parade, Parade der Liebe. Viele prophezeien den Technopartys, das "Lebensmodel des dritten Jahrtausends" zu verkörpern. Nun ja, grundsätzlich wäre nichts dagegen zu sagen, wer’s schön findet...

Traurig machte mich allerdings, was aus der Idee des "Gegen den Strom schwimmen" spätestens bei den Ravern geworden ist. War es in den 70er noch so, daß man hinter dem Ideal der Bewegung stand, wenn auch nicht immer hundertprozentig, aber mit dem Wissen, um was es eigentlich gehen sollte, zählt heute nur noch die Eintrittskarte zum Technoevent. Die ganze Woche über auf den Freitagabend warten, um sich dann völlig in Trance durch das Wochenende zu raven. Dabei sein ist alles; warum man dabei ist, scheint keinen mehr zu interessieren. Veränderung ist unwichtig geworden, nur noch Ablenkung zählt. Und Montag früh macht man wieder mit, was man am Vortag verteufelte. Der Gang der Dinge.

Tut mir leid, aber das ist mir zu wenig. Das bedeutet, sich dem zu ergeben, was man eigentlich immer ändern wollte, kritiklos zu werden, abzustumpfen. Außerdem stellt sich eine ausweglose Monotonie ein. Arbeiten - raven, fluchen - vergessen, sich anpassen - von Veränderung träumen, und so weiter und so fort, 365 Tage im Jahr. Dann ist man ziemlich fertig. Ein anstrengendes Jahr, ohne auch nur eine Kleinigkeit verändert zu haben.

Oh, ich vergaß, es gibt ja noch die Festtage der Raver. Love Parade und Mayday, die Events des Jahres. Nagut, aber warum nennen sie das eigentlich Love Parade und nicht Megaparty? "Westbam meinte dazu: ‘Von mir aus könnte sie auch Hate Parade heißen’, und damit klargestellt, daß Liebe nur ein Wort ist. Und Worte werden hauptsächlich als Reize verwendet - was gut klingt, ist gut", las ich in dem Artikel der Berliner Zeitung. Denn einer reibt sich die Hände bei der ganzen Sache: die Konsumindustrie. "Hier ist die Jugend von heute sozusagen komplett angetreten, zur Aufnahme von Werbebotschaften", heißt es weiter. "Kaum eine Musikszene macht in Zeitschriften, Broschüren und CD-Beiheften so viel beredten Wirbel um sich selbst. Und bei kaum einer steckt so wenig inhaltliche Substanz dahinter." Hauptsache einer freut sich, oder?

Traurig, daß so viele von uns so gedanken- und willenlos durch die Gegend laufen. Was ist aus den "Rebellen" geworden, die dafür sorgten, daß die Welt sich verändern kann?

Ich hab nichts gegen einen anderen Geschmack, soll Techno hören, wer Techno mag. Aber wenn es darum geht, ein neues "Lebensmodel" für das dritte Jahrtausend zu finden, das darin bestehen soll, daß man sich anpaßt, und letztendlich zu einem Objekt wird, was konsumiert ohne zu murren, dann bleibt mir nur noch übrig, die guten, alten Rock Platten auszukramen - wenn wir als Jugend nichts verändern, wer tut es dann?