Lust auf mehr?!
Youthpaper Nr. 05, März 1993

Mitleid für die "Dritte Welt" ???

Entwicklungsländer, Entwicklungshilfe, "Dritte Welt", das sind bei uns oft leidige Themen. Haben wir etwa genug davon? Was aber ist eigentlich die "Dritte Welt"? Wir, das sind nahezu alle westlichen Industriestaaten, haben uns eine tolle Klassifizierung fast aller Staaten einfallen lassen. Die "Erste Welt", dazu gehören die eben genannten hochentwickelten, westlichen Industriestaaten; die Länder der "Zweiten Welt" waren die ehemaligen Ostblockstaaten in ihrer politschen, wirtschaftlichen und militärischen "Einheit" und zu guter letzt zählt man alle unterentwickelten, oder besser gesagt weniger gut entwickelten Länder zu der Gruppe der Dritte-Welt-Länder. Ich hoffe, man sieht, wie unsinnig eine solche Klassifizierung anzusehen ist. Wahrscheinlich muß man sich jetzt sowieso eine neue Einteilung überlegen, wo doch der Ostblock als "Zweite Welt" weggefallen ist. Die UNO ihrerseits treibt dieses "Über-den-Haufen-scheren" auf die Spitze, indem sie die unterentwickelten Länder nochmals in drei weitere Gruppen unterteilt. Wofür das gut sein soll, kann sich wohl kaum einer erklären. Die Bürokratie läßt schön grüßen. Der Steuerzahler auch, der die UNO und deren Unterorganisationen letztendlich finanzieren muß!

"Dritte Welt", das muß demnach ja über die Hälfte aller Länder sein. Ist das nicht ein bißchen viel? Sollten wir uns nicht vielleicht andere Maßstäbe überlegen, damit das Dilemma nicht mehr so groß erscheint? Entwicklungsländer, Entwicklungshilfe, wie gesagt ein leidiges Thema, weil man sich so wahnsinnig ohnmächtig vorkommt, weil man weiß, daß man sowieso kaum helfen kann. Oder vielleicht doch? Manchmal packt es uns ja: das schlechte Gewissen. Daß es uns zu gut geht und "denen" zu schlecht. Meistens ist das zu Weihnachten! Ist das nicht toll? Wir feiern schön gemütlich und friedlich unsere Feste, geben irgendeiner Organisation eine Spende und fühlen uns für die nächste Zeit als die Wohltäter der Nation. Wieviele haben sich aber wirklich mit der ganzen Problematik versucht auseinanderzusetzen? Es ist ja gar nicht so einfach! Denn sonst wären bestimmt schon einige kluge Köpfe darauf gekommen, wie man den Armen helfen kann. Die Probleme sind aber oftmals zu unterschiedlich und zu komplex, man stößt auf zu viele Widerstände im Entwicklungsland selbst und manchmal reicht das Geld auch nicht mehr. Leider gibt es aber bei genauer Betrachtung ganz eigenartige Sachen in solchen Ländern zu beobachten, die nicht gerade selten totgeschwiegen werden: noch immer werden in den verschiedensten Ländern Staudämme gebaut, obwohl man schon sehr lange weiß, daß der Bau von Staudämmen ökologisch nicht mehr vertretbar ist und noch immer werden Nahrungsmittel halb verschenkt; alles Entwicklungshilfe! Zunächst klingt es ja ganz gut, wenn man hört, daß Nahrungsmittel verschenkt werden, die in den USA und in Europa sowieso überflüssig sind. Auf der anderen Seite ist es aber in Kenia zum Beispiel so gewesen, daß die landwirtschaftliche Hirseproduktion aufgrund amerikanischer Weizenlieferungen zurückgegangen ist, weil die Bauern nicht mehr wettbewerbsfähig ihre Hirse verkaufen konnten. So hat sich Kenia in eine Abhängigkeit gegeben, die den Amerikanern inzwischen gute zusätzliche Gewinne einbringt.

Dieser fragwürdigen Beispiele gibt es mehr als genug, so daß man sich wirklich fragen muß, wem das alles hilft. Sicherlich ziehen viele westliche Firmen und Produzenten ihren Nutzen aus der Entwicklungshilfe. Zum Beispiel wird keine andere Firma als Siemens (die am Bau von Staudämmen beteiligt ist), unter anderem durch deutsche Entwicklungsgelder finanziert. So einfach ist es also gar nicht getan! Oft genug hört man von Nahrungsmittellieferungen, die ihren Zielort nicht erreichen, weil sie von örtlichen, mafia-artigen Organisationen im Entwicklungsland abgefangen werden. Hier taucht zusätzlich noch ein generelles Verteilungsproblem auf. Immerwiederstellt man fest, daß ausländische Firmen versuchen, die Entwicklungsländer auszubeuten. Sie werden nicht einmal aufgehalten, weil es oft fair die betroffenen Länder eine äußerst wichtige Einnahmequelle von Devisen ist. Und genau darum geht es: Geld. Jede Seite, egal welche, will bloß Geld sehen. Deswegen können wir mit den Dritte-Welt-Ländern auch fast alles machen, was wir wollen. Auf der einen Seite steht also die Ausbeutung durch westliche Industrielle und auf der anderen Seite steht die westliche Entwicklungshilfe. Das ist doch ein recht seltsamer Kreislauf, nicht wahr?

Entwicklungshilfe kann schon eine recht komische Sache sein. So habe ich von einem Beispiel gehört, das mich sehr erschrocken hat. Es ging um eine sogenannte Patenschaft für ein Kind in Afrika. Eine Familie aus Westdeutschland hat sich dazu verpflichtet, ein Kind in Afrika zu unterstützen und ihm zu schreiben. Das ging so weit auch ganz gut. Ein Reporterteam wollte es dann aber genauer wissen. Sie sind in das Heim, eine "Schule", gefahren, wo das Kind wohnte. Vor Ort haben sie dann herausgefunden, daß das Kind gezwungen wurde, seinen "Pateneltern" einen Dankesbrief zu schreiben für ein Nahrungsmittelpäckchen, das es nie zu Gesicht bekommen hatte, weil es die Lehrer aus Eigennutzen einbehalten hatten.

Ist das die Unterstützung, die man selbst gegeben hat? Ist das Entwicklungshilfe? Man sieht, es ist nicht leicht. Es gibt an dieser Stelle noch viel mehr zu erzählen über die teilweise Sinnlosigkeit von mancher Entwicklungshilfe.

Aber was soll das dann noch? Warum schaffen wir Entwicklungshilfe nicht einfach ab? Wir unterdrücken das schlechte Gewissen, dann wird's schon irgendwie klappen!

Ich denke, Gott sagt an dieser Stelle etwas anderes! So steht in den Zehn Geboten:

`Du sollst nicht stehlen!'

Grenzt es nicht aber fast an Diebstahl, wenn wir die Preise für Produkte aus Entwicklungsländern diktieren, die manchmal unter den Produktionskosten liegen? Ist es nicht fast Diebstahl, wenn eine amerikanische Tochterfirma in einem Entwicklungsland Rohstoffe fördert, dem Entwicklungsland erzählt, sie arbeite mit Verlusten, so daß sie keine Kosten an den Staat zu entrichten hat, die Rohstoffe dann aber zu Billigstpreisen an die Mutterfirma verkauft, die ihrerseits Riesengewinne bei der Verarbeitung herausschlagen kann?

`Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!'

Was tun wir unseren Nächsten eigentlich an? Sind es niedere Menschen, die es nicht verdienen, genau den selben Lebensstandard wie wir zu erhalten? Dürfen sie hungern, während wir uns dicke Bäuche anfressen?

`Wenn Du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen!' (Mt. 19,16-30)

Eindeutiger konnte es Jesus dem reichen Jüngling gar nicht sagen. Eindeutiger kann uns Jesus heute gar nicht mehr ansprechen. Nehmen wir ihn eigentlich nicht mehr richtig ernst? Jesus redet aber weiter und ich denke, wir sollten diese Sätze genau durchlesen:

`Ein Reicher wird nur schwer ins Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.'

Sehen wir uns nicht als Reiche an? Fühlen wir uns nicht reich, weil es für uns so selbstverständlich ist? Ich weiß, daß CD-Player, Fernseher, Video, Computer, ja sogar teure, exklusive Fahrräderund Autos, Mikrowellen, Geschirrspülerund vieles mehr zur Grundausstattung vieler Familien gehören. Die Jünger fühlten sich nun natürlich vor die Frage gestellt: Wer kann dann noch gerettet werden? Die Jünger hatten es gemerkt, daß es dann niemandem gelingen würde, in das Reich Gottes zu gelangen. Doch an dieser Stelle zeigt sich die unvorstellbare Gnade Gottes: `Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.' Gott sieht also, daß wir ohne seine Gnade keine Chance hätten! Er geht an dieser Stelle weiter und wird uns nicht alleine lassen. Nun kann man sich ja fragen, ob man denn nun noch was tun muß. Jesus sagt hier nicht, daß wir uns ruhig zurücklehnen sollen!!! Die Aufforderung, die er davor gibt, bleibt bestehenund das ist auch gut so. Die Frage sollte füruns eher sein, wie wir dennwirklich sinnvoll helfen können. Und ich muß ganz ehrlich sagen, daß es aus meiner Sicht nicht einfach erscheint, Entwicklungshilfe zu leisten, also sinnvoll zu spenden. Sicherlich ist es jetzt falsch zu verallgemeinern und zu sagen, daß man nicht helfen kann, weil ich denke, daß es schon durchaus sinnvolle Wege gibt. Nicht überall wird Entwicklungshilfe so mies und hinterhältig ausgenutzt. Deshalb denke ich, daß Patenschaften eine ganz gute Lösung darstellen, weil die Kinder oftmals eine dringend notwendige Schulbildung mitbekommen. Außerdem gibt es inzwischen mehrere Entwicklungshilfeorganisationen, die hauptsächlich auf das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe setzen. Das heißt, daß zum Beispiel Bauern vor Ort über bessere Anbaumethoden und ähnliches aufgeklärt werden und wie Erosionsschutzmaßnahmen durchgeführt werden. Allein dadurch werden Entwicklungsländer zunehmend unabhängiger und können sich dann selbst weiter helfen. Wir müssen bloß nach Möglichkeiten suchen, wie man sein Geld oder auch sein Engagement sinnvoll einsetzen kann. Das wird sicherlich nicht einfach. Und es wird Arbeit kosten. Das ist sicherlich unbequem und anstrengend. Der reiche Jüngling jedenfalls geht erst einmal traurig weg. Von ihm wird nicht mehr gesagt, daß er Jesus' Aufforderung wirklich nachgekommen ist. Die Versuchung ist groß, ich weiß es selbst. Und trotzdemdenke ich, daß es sich durchaus lohnt, sich die Mühe zu machen. Wenn wir bereit sind, Jesus auch an dieser Stelle konsequent nachzufolgen, wird uns Gott wohl reichlich segnen, wenn wir um seine Hilfe bitten. Wir selbst schaffen nichts:

`Für die Menschen ist es unmöglich, für Gott aber ist alles möglich!'

Euer Micha