Lust auf mehr?!

Mehr aus Nr. 12 (Juli 1994)

Titelcover Nr. 12
Youthpaper Nr. 12, Juli 1994

Deutschland über alles ???

von Norman/YPR

Etwa 50 rechtsradikale Skins hetzen ein paar Ausländer am Himmelfahrtstag durch die mit passanten gefüllte Magdeburger Innenstadt. Und alle sehen zu. Die Polizei trifft erst sehr spät ein. Es wird Anzeige erstattet, aber nicht gegen die Skins, sondern gegen einen ausländischen Kellner, der die Rechten mit vorgehaltenem Küchenmesser in Schach hielt, nachdem die Verfolgten in sein Restaurant geflohen waren und um Hilfe gebeten hatten. Nicht das erste Mal, daß Polizei und Staatsanwaltschaft in Magdeburg das rechte Auge zudrücken (wie die Berliner Morgenpost vom 29.5.94 berichtet).
Ende März brennt die jüdische Synagoge in Lübeck. Die Brandstifter kommen aus der rechtsradikalen Szene.
Eine Umfrage vom 11.April ergibt, daß derzeit 43% der Deutschen die jüdische Bevölkerung in Deutschland für gefährdet halten. (41% meinen, daß dies nicht so ist.)
Obwohl Beweise und auch Augenzeugen vorhanden sind, werden die Ermittlungen gegen einen ehemaligen SS-Aufseher, der einen jüdischen Gefangenen zu Tode geprügelt haben soll, von einem Dortmunder Staatsanwalt eingestellt.

Nein, die Daten stimmen. Wir befinden uns nicht in grauer bzw. in brauner Vorzeit, sondern in der Gegenwart: Deutschland 1994! Und diese hier erwähnten Fälle sind nur wenige Beispiele unter vielen. Seit 1991 erstellt das Frankfurter Archiv für Sozialpolitik eine "unvollständige Chronik der Gewalttaten gegen Ausländer in Deutschland". Daraus geht hervor, daß es jeden Tag zu Übergriffen auf Ausländer kommt. Aber die Angriffe richten sich nicht nur gegen Ausländer, betroffen sind auch Juden, Angehörige anderer Religionen, Behinderte, Homosexuelle, Obdachlose, Zigeuner, Andersdenkende usw.
Solche (Un-) Taten finden nicht nur häufig statt, sondern auch überall. Auch vor unserer Haustür:
In der Beziksverordnetenversammlung (BVV) von Reinickendorf sagte der Fraktionsvorsitzende der Republikaner (REP) Pöppel, daß die Art, wie mit seiner Partei umgegangen werde mit der Judenverfolgung in der Nazi-Zeit vergleichbar sei. Da die Sozialstadträtin Ingeborg Seiffert, ebenfalls bei den REPs, nicht von diesem Ausspruch ihres Parteifreundes Abstand nahm, wollten SPD und Grüne Frau Seiffert in der BVV abwählen. Dies scheiterte jedoch daran, daß sich CDU und FDP bei der entscheidenden Abstimmung der Stimme enthielten.

Ausländerfeindlichkeit, Judenhaß, Intoleranz sind nicht nur dort, wo Menschen, die anders sind, verprügelt werden. Ausländerfeindlichkeit, Judenhaß, Intoleranz beginnen im Kopf.
Es sind nicht nur die rechtradikalen, kahlköpfigen Schläger, die relativ unbehelligt durch unser Land marschieren, die uns nachdenklich machen sollten. Wir sollten auch nachdenklich werden, wenn wir sehen, daß Leute daneben- stehen und Beifall klatschen, wenn ein Asylbewerberheim angezündet wird, oder daß Leute zusehen und schweigen, wenn jemand vor ihren Augen verprügelt wird.

Es gibt Stimmen, die sagen, daß das mit der Gefahr von rechts jetzt nicht mehr so schlimm sei, zumal die REPs bei den letzten Wahlen nicht mehr so viele Stimmen bekommen haben.
Ist das nicht komisch, wie sich die Zeiten ändern? Vor zehn Jahren hat bei den Wahlen kein Hahn nach den rechtsradikalen Parteien gekräht. Damals fielen sie noch noch unter "Sonstige", und heute ist man schon froh, wenn sie nicht mehr über 5% der Stimmen kommen.
Zugegeben, in vielen anderen Ländern ist es mit Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalen noch schlimmer als bei uns (Italien, Frankreich, USA usw.), aber das allein löst doch nicht unsere Probleme hier. Im Gegenteil, es läßt einen eher am Verstand der Menschen überhaupt zweifeln. Es gibt soviel Haß in der Welt. Da ist es für uns, die wir uns Christen nennen, um so wichtiger, ein lebendiges Beispiel für Verständnis und Toleranz zu sein.
Aber auch in unserer Gemeinde gibt es Stimmen, wie "Die Polacken kann ich sowieso nicht leiden!" oder noch schlimmeres.
Es gibt klare Argumente, die die einfach-knackigen Parolen der Rechten, seien es jetzt praktische oder Stammtischtäter, widerlegen. "Asylanten nehmen uns die Arbeitsplätze weg und kriegen Geld vorn und hinten reingeschoben", heißt es.
Tatsache ist, daß Asylbewerber in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen, es gibt ein Arbeitsverbot. Und die Leistungen, die sie erhalten, sind zu 90% Sachspenden, d.h. Nahrungsmittel (übrigens weniger als für die Lebenserhaltung eines normalen Deutschen zugrunde gelegt wird), Kleidung (gebrauchte, aus Altkleidersammlungen). Bargeld erhalten sie, wenn überhaupt, nur in sehr geringem Umfang, der das Taschengeld eines Durchschnitts-Achtjährigen kaum übersteigen dürfte.

Aber diese Argumentationsschlachten sind nicht das Entscheidende. Das Entscheidende für uns ist, daß wir uns klarmachen müssen, daß Jesus alle Menschen gleich liebt.
Der Penner auf der Parkbank, der Jude im Cafe, der Ausländer auf der Straße, Du in der Gemeinde ...
Jesus hat alle gleich lieb und sein Angebot mit ihm zu leben gilt für alle. Die Frage ist, ob wir dieses Angebot auch annehmen.
Geben wir dem Hass keine Chance!